Alles beginnt Ende der Dreißiger Jahre mit dem frühzeitigen Tod von Vater Giovanni Battista (Giorgio war noch keine zwei Jahre alt). Der Bauarbeiter lässt seine erst neunundzwanzig Jahre alte Frau Maria Emilia mit fünf Kindern zurück. Die energische, temperamentvolle Frau verliert jedoch nicht den Mut. Giorgio erzählt, dass die Familie in der Armenliste der Stadt Bassano del Grappa stand, dass aber Maria Disegna, stolz wie sie war, nie die Gemeindeunterstützung und die Lebensmittelkarte in Anspruch nahm.
„Ich habe die fünfte Klasse unter den Bomben absolviert. Meine Schule war das Leben“, sagt der Unternehmer. Er erinnert sich daran, wie seine Mutter im Garten arbeitete und er Spinat und Blumen verkaufen ging. Sie fuhr aber auch mit dem Fahrrad Garn verkaufen und brachte Brot und Milch nach Hause. Schon bald verkaufte sie auf den Stufen des Rathauses Hüte und Taschen aus Stroh und dann kam der Marktstand, wo sie Garn und andere Kurzwaren feilbot. Es dauerte nicht lange und sie wurde an den Markttagen in Bassano zum Bezugspunkt. „Wir arbeiteten alle mit“, erklärt mir Giorgio, „und an den anderen Tagen arbeiteten wir Brüder als Maurer. Wir lebten mit einem konstruktiven Geist, zu Hause standen die Schubladen offen und jeder legte die Früchte seiner Arbeit hinein, nahm aber auch, was er benötigte. Mutter hatte wunderbare Grundsätze was Ehrlichkeit, Transparenz, Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft betraf. Sie waren für uns alle von entscheidender Bedeutung.“
Selbstgebaute Maschinen und Kopfbinden aus Wollresten
Giorgio war schon immer von der Mechanik fasziniert, er liebte es, ein Produkt im Hinblick auf die Industrialisierung zu berücksichtigen. Die Rolle des Verkäufers, die ihm zwar – wie er heute selbst zugibt – die Geheimnisse des Handels lüftete, war ihm zu wenig. Und so nahm der Marktstand dank seiner Intuition bald die Form einer zukünftigen Industrie an. „Wir verkauften die Wolle in Viertelsträhnen“, erinnert er sich, „und dabei blieb immer etwas übrig.“ Wir begannen, aus diesen Wollresten Kopfbinden mit Ohrenklappen zu machen. Sie verkauften sich bestens, und bald genügten die Wollreste nicht mehr, um der Nachfrage nachzukommen. Es kamen Wollmützen, Schals und Pullover dazu. Sie gefielen und wurden in großen Mengen verkauft. Und schließlich ging man dazu über, Sommerkleidungsstücke aus Garn zu erzeugen. Schon bald wurde die Produktion das Kerngeschäft der Aktivität.
Mit Innovationen wie der Automatisierung der Pomponherstellung: „Eine Person konnte am Tag 50 Pompons herstellen. Mit der von mir im Alter von sechzehn Jahren selbst gemachten Maschine konnten drei Arbeiter im selben Zeitraum viertausend Pompons erzeugen.“ Sechzig Jahre später funktioniert dieses Denkmal der Automation immer noch ausgezeichnet und ist im nahegelegenen Werk von Romano d’Ezzelino regelmäßig im Einsatz.
Giorgio ist seit jeher die Seele der Firma Campagnolo und führt die Unternehmensgeschichte stets neuen Zielen entgegen. Als typisch venetischer Hersteller ist es ihm gelungen, Eigensinn, Familie und Unternehmen, unendlich viele Arbeitsstunden mit raren Werten zu vereinen wie Kreativität, Innovation, herausragenden Ideen und die Überzeugung, niemals untätig sein oder nach unwahrscheinlichem Wachstum streben zu dürfen.
Schritt für Schritt in die Zukunft
Die Zukunft des Unternehmens ist ein einfaches Rezept: „Stets vorwärts schauen und einen Schritt hinter den anderen setzen. Den Vertrieb verbessern, die Produktion und die Handelsnetze überwachen und steuern, die Märkte nicht überlaufen. Den Kunden dabei zu helfen, langsam zu wachsen. Ein Kunde ist nämlich erst dann ein Kunde, wenn er mit dir verdient, nicht wenn er Verluste macht: Wenn es ihm gut geht, geht es auch dir gut.“ Giorgio eroberte Italien, aber dann wurde ihm bewusst, dass das nicht genügte. „Vor dreißig Jahren wurde mir klar, dass man über seine Grenzen hinausgehen musste. Ich brachte mit meinem LKW inmitten von Panzern Hilfe nach Polen und am deutschen Grenzübergang sagte ich mir, dass man es einfach nicht versäumen dürfe, in diesem großen Land zu verkaufen. So wurde Deutschland unsere zweite Heimat und mit ihm ganz Europa.“
Sehr gut geht es den Familienmarken, von Sportswear über die Kinder- und Jugendkleidung, von der Hausbekleidung bis hin zur Winterbekleidung, eine Branche zuverlässiger als die andere. „In den vergangenen Jahren konnten wir regelmäßig im Ausland einen Zuwachs von 30 % verzeichnen. Auf der Münchner Messe haben wir vor ein paar Jahren beispielsweise unsere Daunenjacken in 50 Farben vorgestellt. In einem Jahr sind wir von fünfzigtausend auf zweihundertfünfzigtausend Stück übergegangen.
Sogar die Campagnolos waren von diesen Zahlen überrascht. Eine Familie, die sich die Philosophie von Giorgio und zuvor die der Großmutter Maria zu Eigen gemacht hat.
„Graziella, meine Frau, ist ebenfalls aus dem Bereich. Als ich sie kennenlernte, hatte sie ein Strickwarengeschäft. Sie hat alle Wachstumsphasen mitgemacht, kümmerte sich um den sportlichen Bereich und war bis vor kurzem im Betrieb tätig. Unsere Produktion an Baumwollkleidung ist ihr zu verdanken. Auch wenn sie immer im Schatten bleibt, hat sie großartige Verdienste. Unsere drei Kinder haben zwar spezifische Verantwortungsbereiche, können sich aber ohne weiteres gegenseitig vertreten. Michela kümmert sich um die Nucleo-Geschäfte, unser Netz aus mittlerweile hundert One-Brand-Stores. Fabio kümmert sich um die Sportwelt und das Ausland. Jetzt hat er auch Schuhe eingeführt, und ich habe dazu nur gesagt, dass das eine gute Idee sei, solange es die anderen Schuhhersteller zuließen! Maria Pia kümmert sich um Einrichtungen für den Wohnbereich, ein ganz neuer, wundervoller Bereich, der sich vor einigen Jahren aus dem Fleece entwickelt hat und ein großartiges Wachstum mitmacht.“
Unser Unternehmen arbeitet grundsätzlich nur auf eines hin – die Kundenzufriedenheit
„Wir sind Minute um Minute im Netz. In Echtzeit sehen wir, wann unsere Bekleidungsstücke in ihren Geschäften eintreffen, im Geschäft sieht man sofort, was auf Lager ist und kann die Ware bestellen, die schon am Tag darauf auf dem Weg zum Geschäft ist. Die Kontrolle des Vertriebs- und Organisationssystems ist unsere Stärke. Wir versuchen, den Läden mithilfe von fünf kompetenten Programmierern das Leben so unkompliziert wie möglich zu gestalten. Es ist ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Systeme gut ineinander greifen. Wir produzieren seit jeher zehn Prozent mehr als bestellt wird, und dem Kunden steht eine gewisse Zeit zur Verfügung, um sein Sortiment umzustellen. Die auf die Produkte angewandte Technologie und die Ernsthaftigkeit der Beziehungen sind ein Mehrwert: Die Kunden müssen sich unbesorgt und vom Lieferanten abgesichert fühlen. Und passiert einmal ein Fehler, muss es gesagt werden.“
Ich bin schwer beeindruckt, da ich nicht damit gerechnet habe, dass dieser freundliche, ältere Mann so nahe am Puls der Zeit ist. Und so überraschend, die spontane Einladung in das Unternehmen kam, so überraschend geht der Besuch auch zu Ende.