Die Herbstferien haben gerade begonnen. Mit meiner Familie bin ich in den Norden Italiens gereist, da ich einen wichtigen Termin bei unserem Lieferanten CMP in Bassano del Grappa mit unserem Familienurlaub verbinden möchte. Ziel ist die Provinz Venetien, die, wie der Name bereits andeutet, etwa 80 km entfernt von Venedig auf dem Festland liegt. Es ist ein malerisches Fleckchen, das etwa eine Autostunde südöstlich des Gardasees, direkt am Fuße der Alpen, liegt. Der Brenta, von den ersten Schneefällen der letzten Woche gespeist, gurgelt in schnellem Strom unter der berühmten überdachten Holzbrücke des Ortes hindurch. Auch der etwas unscheinbare Balkon Romeos und Julias in Verona ist nicht weit entfernt. Kurz gesagt, jetzt bei +18 °C und Sonnenschein lässt es sich hier gut aushalten.
Herzlicher Empfang in Bassano di Grappa
Die Pflicht ruft. Ich habe einen Termin mit Alice Testi, der Marketingchefin der Firma CMP. Da sie bereits im Vorfeld wusste, dass ich mit Familie reise, hat sie uns alle kurzerhand eingeladen, eine Werksbesichtigung zu unternehmen. Meine Sohn Jonne und meine Tochter Daja sind gespannt, da sie Fabriken eher aus der Sendung mit der Maus kennen. Ich muss gestehen, dass ich nicht weniger neugierig bin, da sich mein Wissen über Fabriken bisher auf einen kleinen Einblick durch Ferienjobs, die lange zurückliegen, das Fernsehen und verschiedene Skifabriken beschränkt.
Alice empfängt uns ausgesprochen freundlich. Endlich kann ich den Emails und Telefonaten der letzten Jahre auch ein Gesicht zuordnen. Als Einkäufer der Firma Sport Kaufmann hat man meistens mit dem zuständigen CMP-Außendienstmitarbeiter in Hamburg zu tun. Regelmäßig auf Messen gibt es dann noch Kontakt zum Deutschland-Chef, aber mit dem „Headquarter“ hat man, von einigen Emails abgesehen, doch selten zu tun. Nun ja, in diesem Jahr ist alles anders, da ich Marketingchefin Alice Testi bereits telefonisch und online den Sport Kaufmann- Internet-Blog vorgestellt habe und sie mich kurzerhand einlud, sie einmal persönlich kennenzulernen und ihren Chef, den Firmeninhaber Fabio Campagnolo, natürlich auch.
Alice (in unserer Branche duzt man sich, was das Arbeiten ganz unverkrampft gestaltet) berichtet uns in einer lustigen Mischung aus Deutsch und Englisch (sie hat bis vor ein paar Jahren bei Adidas in Herzogenaurach gearbeitet), dass sie vorab kurz den Ursprung und die Geschichte von CMP erklären müsse, damit man verstehen könne, wofür die Firma heute steht. Ich denke mir, dass ist Marketing-Geschwätz, warte aber einfach einmal ab, was da kommen mag.
Von gestrickten Mützen zum internationalen Groß-Unternehmen
Sie berichtet von Mamma Campagnolo, die in den 50er Jahren auf einem Marktstand selbstgestrickte Mützen verkaufte, dann alles Geld der Familie in die Hand nahm und einen kleinen Laden für Wollartikel eröffnete. Diesen Laden können wir übrigens am Nachmittag noch ansehen. Ihr technisch findiger Sohn Georgio (den ich dann später auch noch treffen durfte; mehr dazu im zweiten Teil meines Blog-Beitrages) tüftelte bereits mit 14 Jahren an einer Strickmaschine herum, damit die „Produktion“ im Hinterstübchen des Geschäftes effektiver wurde. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Näherinnen eingestellt wurden. Inzwischen war Georgio erwachsen geworden, übernahm mehr und mehr die Verantwortung für das Geschäft und die Expansion machte insbesondere aufgrund seines technischen Verständnisses große Sprünge.
Der Vortrag von Alice ist eine Zeitreise durch die 60er, 70er, 80er und 90er Jahre. Die Firma Campagnolo wird in dieser Zeit immer größer, die Fertigung immer internationaler und neben Giorgio steigt auch sein Sohn Fabio in das Geschäft ein. Der Vortrag endet dann im Hier und Jetzt. Das Hauptquartier, in dem wir gerade bei Kakao und Keksen für meine Kinder sitzen, misst sage und schreibe 80.000 m² für Logistik, Design und noch einige Produktionsschritte, die wir danach besuchen.
Während wir anschließend durch scheinbar endlose Logistikhallen schlendern, von denen aus ganz Europa, Russland, der Nahe Osten und Kanada versorgt werden, erzählt man uns, dass CMP inzwischen sechs Fabriken betreibe, von denen je zwei in Italien, zwei in Rumänien und zwei in Tunesien lägen. Zusätzlich würde man viele Artikel bei Vertragslieferanten in China fertigen lassen, so dass in der Summe jährlich über 9 Millionen Artikel verkauft würden.
Aufwendiger Fertigungsprozess: Fleece von CMP
Wir fahren mit dem Auto zu einer der nahegelegenen Fabriken. 40 Webmaschinen rattern ohne Unterlass in einer nahezu menschenleeren Halle. Es ist laut, die Mitarbeiter tragen Gehörschutz, aber es ist blitzeblank und riecht deutlich besser, als ich es mir vorgestellt hatte. In einer weiteren Halle wird es dann wirklich spannend. Hier wird Fleece für die Produktion aufbereitet. Das Rohmaterial wird nach exakter Vorgabe in China gewebt. Zuerst fahren die Stoffrollen durch eine Waschmaschine, deren Ausmaße die eines kleinen Einfamilienhauses deutlich überschreiten. Anschließend werden die Rollen in einer neuen Maschine über verschiedene Rollen geführt, die die Schlaufen des Gewebes aufreißen. Dies geschieht in mehreren Durchgängen, bis die Stoffbahn so flauschig ist, wie wir das vom fertigen Produkt kennen. Da aber alles auch immer gleich flauschig sein soll, wird die Stoffbahn gewissermaßen rasiert. Auch hier ist eine neue Maschine am Werk. Walzen mit scharfen Messern kürzen den Stoff um 20 %. Als ich in die arbeitende Maschine mit den rotierenden Messern schaue, bekomme ich Angst um die Finger meiner Kinder und ziehe sie etwas zurück, was vermutlich aufgrund der Plexiglasabdeckung gar nicht nötig gewesen wäre.
Meinem kleinen Sohn hat es die Bügelmaschine angetan. Er möchte sie gerne für seine Mama mitnehmen, da diese eine ganze Stoffbahn wie von Geisterhand dampfbügelt. Die 20 m Länge und 4 m Breite des Monstrums halten uns aber davon ab, seinen Vorschlag zu realisieren.
Etwas enttäuscht sind wir, dass hier, wie meine Kinder es sagen, eigentlich nichts hergestellt wird, da an diesem Punkt unserer Führung die fertigen Stoffbahnen eingeschweißt und zum Nähen nach Rumänien bzw. Tunesien transportiert werden. Entschädigt werden die Kinder aber, indem der heutige Firmeninhaber Fabio Campagnolo, zurück im Hauptquartier, uns die Designabteilung und die Musterproduktion zeigt. Hier sitzen dann doch noch Menschen an Nähmaschinen.
Eine Etage tiefer präsentiert uns der Chef der Firma außerdem eine Kleinabteilung mit ca. 20 Strickmaschinen. Man denkt sich eigentlich, dass da Designer am PC ein Muster entwerfen, die Daten an eine Strickmaschine übergeben werden, die dann losrattert – aber weit gefehlt. Jede einzelne Masche des zukünftigen Schals, Pullovers oder der Mütze wird am PC einer Farbe und Strickweise zugeordnet, was schon eine Ewigkeit dauert.
Riesen-Unternehmen, familiäre Atmosphäre
Jetzt haben wir viele Schritte einer Produktion gesehen. Vielleicht nicht alles, aber es verwundert eigentlich auch nicht, dass es für einen Markenanbieter, der in Konkurrenz zu Discountanbietern steht, kaum noch zu realisieren ist, eine Produktion in Europa zu betreiben. Über 1000 Mitarbeiter arbeiten in Italien, Rumänien und Nordafrika für die Familie Campagnolo in eigenen Fabrikationen unter Bedingungen, dass davon viele Familien ein gutes Leben führen können.
Zudem schwingt immer der Stolz der Inhaber mit, ein gutes Produkt mit optimalem Preis-Leistungsverhältnis anzubieten, das unter fairen Bedingungen produziert wurde. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn man mir erzählt hätte, dass der Chef dieses Großunternehmens in seiner selbstproduzierten Outdoorbekleidung und nicht etwa im Anzug durch seine Produktionshallen läuft und von seinen Mitarbeitern mit ‚Ciao Fabio‘ begrüßt wird. An diesem Punkt wird auch klar, weshalb man erst einmal die Geschichte der Firma hören sollte, um zu verstehen, was sie heute ist – kein Marketing-Geschwätz, wie ich es erst gedacht hatte.